Aber das ist eigentlich auch fair. Das Rad hat zwei volle Saisons als Guide-Bike in Frankreich, der Schweiz und Italien hinter sich – und wenn es nicht für die Arbeit genutzt wurde, dann eben nur für „Spassfahrten“.
Weil es ja absolut unmöglich ist, auf den besten Trails der Welt Woche für Woche Spass zu haben… also wirklich, wer käme denn auf so eine absurde Idee?
Das Bike führt ein Doppelleben: Lieblingsspielzeug für die richtig guten Zeiten, aber gleichzeitig auch ein Arbeitsgerät. Ein Werkzeug, genau wie ein Laptop, ein Van, ein Skalpell oder eine Bohrmaschine. So sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass man es erst wirklich bemerkt, wenn es kaputtgeht. Zum Glück passiert das heutzutage nicht mehr so oft. Hat eigentlich schon mal jemand erwähnt, wie verdammt gut moderne Mountainbikes geworden sind?
Jeder hat ein Traumbike. Aber haben diese Bikes auch einen Traum-Besitzer? Ziemlich sicher bin ich das nicht. An einem normalen (und ja, ich weiss, wie cool und privilegiert es ist, dass das für mich „normal“ ist) sechstägigen Trip, wie er im Sommer Standard ist, muss das Bike erst einmal stundenlang durch Schlamm, Staub, Regen, Sonne, Steine und Flüsse geprügelt werden. Dann wird es lieblos gegen die Wand eines Cafés gelehnt, während die Gäste drinnen auf einen epischen Tag anstossen – einen Tag, der ohne dieses vernachlässigte Bike gar nicht möglich gewesen wäre. Später müssen die Bikes der Kunden gewaschen und repariert werden, bevor es etwas zu essen gibt. Wenn mein Bike Glück hat, bekommt es einen Spritzer Kettenöl ab. Danach wird es entweder in einer Hütte angekettet oder einfach draussen abgestellt – bis zum nächsten Tag. Und dem danach. Und dem danach…
Am Ende der Woche gibt es dann einen freien Tag – Zeit, um das Equipment zu waschen, mal normales Essen zu essen und nicht zu viel über Bikes nachzudenken, bevor es direkt wieder für sechs Tage losgeht.
Ja, ich weiss, dass es da so etwas wie Wartungsintervalle gibt. Ich weiss nur auch, dass ich sie nicht einhalte.
Dank des Logbuchs für die berufliche Weiterbildung als Guide kann ich genau nachverfolgen, wie die Kilometer und Tiefenmeter nur so dahinfliegen: 5.949 Kilometer quer durchs Gelände, 506.430 Meter bergab. Oder anders gesagt – 57 Mal auf den Everest, 1.011 Pleney-Abfahrten oder 1.535 Mal den Eiffelturm runter. Kommt ganz drauf an, welche Schlagzeile euer Lieblings-Boulevardblatt daraus basteln würde.
Aber viel wichtiger als all diese Zahlen – oder selbst die Zuverlässigkeit – ist, dass es einfach nur unfassbar viel Spass macht. So viele heisse Tage stecken in diesen kühlen Zahlen, an denen es sich schon für eine einzige dieser Abfahrten gelohnt hätte, das Bike überhaupt zu besitzen. Geschweige denn für all die hunderten anderen.
Ob es das Strahlen in den Gesichtern der Gäste ist, wenn sie auf Trails unterwegs sind, die sie sich vorher nur erträumt haben, das Feeling, wenn ich endlich ein lang ersehntes Feature auf einem Trail knacke, oder einfach dieses warme Glücksgefühl, mit Freunden auf dem Bike unterwegs zu sein und den Sonnenuntergang von einem atemberaubenden Spot aus zu geniessen – mein Bike war bei all dem dabei.